Nächtelang – oder, die Kunst des Wachbleibens beim Schreiben

 

Meine liebe Agentin gab mir, neben vielen grundsätzlichen Ratschlägen – wollen sie ihre Meinung sagen, oder ein Buch veröffentlichen? – oder – lassen sie doch bitte nicht immerfort ihre Hauptcharaktere sterben, die Zeiten sind doch eh schon schlecht genug! – unter anderem auch den weisen Rat immer zur gleichen Tageszeit zu schreiben, Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr.

 

Sie meinte, der Geist, ebenso wie der Körper, stelle sich dann aufs Schreiben ein, generell gehe es dann leichter von der Hand.

 

Wie immer, wenn meine Agentin mir einen Rat gibt, nehme ich diesen natürlich sofort an und setze diesen als vorbildlicher Autor ebenso sofort um.

 

Die Schwierigkeit bei der Umsetzung diesen Rates allerdings lag darin, daß ich als selbstständiger Architekt, der sich auf Ladenbau spezialisiert hat, jedes Jahr einhunderttausend Kilometer auf bundesdeutschen Autobahnen unterwegs bin um die einzelnen Objekte, sehr häufig Buchhandlungen, aufzunehmen, zu planen, bauzuleiten. Den Rest meiner reichlich bemessenen Arbeitszeit, d.h. das Wochenende, verbringe ich dann im Büro mit all den herrlichen Architektentätigkeiten wie zeichnen, Angebote einholen, telefonieren, ändern, wieder zeichnen, noch mal ändern, ändern, ändern, ändern und ..äh… ändern.

 

Kurz gesagt, meine Tätigkeit füllt meine Woche sehr schnell mit reichlich Arbeit, einhundert Stunden und mehr sind der Normalzustand. Ich vermute übrigens, dieses Übermaß an Arbeit liegt in meiner Kindheit begraben, meinte mein Vater doch stets, daß man für sein Geld immer viel arbeiten müsse, Betonung auf viel. Hätte er uns doch beigebracht, daß wir für unser Geld nur wenig arbeiten müssten, wie viel Zeit mehr hätte ich dann zum Schreiben?

 

Dann gibt es da ja noch die Familie, heißt meine Frau und meine Tochter, die beiden Hübschen. Sie kennen mich nicht anders und sind meine Arbeitszeiten gewöhnt, trotzdem, ab und an fordern auch sie Zeit ein. Was ich, nebenbei bemerkt, auch liebe, bin ich doch ein ausgeprägter Familienmensch. Und dann gibt es da noch unsere Viecher, drei Katzen und zwei Pferde. Die Katzen sind nicht so zeitintensiv, die Pferde schon. Sie glauben nicht, wie vernichtend ein Pferdeauge sie ansehen kann, wenn das liebe Tier eine Woche lang nicht genug bewegt wurde. Gott sei Dank haben wir einen Offenstall und reichlich Auslauf, darauf verweise ich dann immer trotzig, wenn mich wieder so ein Blick streift.

 

 

Und dann gibt es noch weitere Zeiträuber, Haushalt, Essen kochen (leider koche ich sehr gern), Einkaufen (leider kaufe ich auch sehr gern ein), das Haus will gestrichen werden, die Hecken geschnitten, oh Gott, schon wieder muss der Müll raus, die Spülmaschine ausgeräumt, der Rasen geschnitten werden – und ein Wasserhahn leckt, die Waschmaschine klingt komisch, das W-Lan-Netz ist schon wieder ausgefallen, Papa mach mal was und…

 

Nun ja, also, Rat der Agentin, immer zur gleichen Zeit schreiben. Gute Idee.

So gegen Mitternacht bin ich meist fertig mit allem, das Tagespensum ist geschafft, alle Pläne verschickt, alle Angebotsanfragen versandt, alle Bauherren haben sich zur Nachtruhe begeben ebenso wie die Frau, die Tochter, die Pferde, nur die Katzen kommen im Abstand von je einer halben Stunde und hauen anklagend gegen das dadurch immer verschmierte Bürofenster, damit ich sie hereinlasse.

 

Dann endlich beginnt sie, die tägliche Schreibzeit. Ein Blick auf die Uhr, kurz nach Mitternacht. Wie schön.

Ich rufe das Programm auf, freue mich, daß das Manuskript den letzten Computerabsturz anscheinend unbeschädigt überstanden hat, genieße einen Moment die Ruhe, die gleich vom Klappern der Tastatur übertönt wird, hebe die rechte Hand, nehme Maß mit dem Zeigefinger –und stehe noch mal auf um das Piepen des Trockners abzustellen, der gerade sein Programm beendet hat.

Die Waschmaschine grinst mich im Halbdunkel an, ihr Programm läuft noch eine Viertelstunde, dann wird auch sie piepen….

 

Um halb eins bin ich völlig im Schreiben versunken und stecke mitten in einem Nürnberger Patrizierhaus in dem gerade Wagenräder geliefert werden, ein willkommener Grund für den Räderlieferanten (die eine Hauptfigur) mit der Tochter des Hausherrn (die andere Hauptfigur) ausgiebig zu flirten, bis der schmierige Bruder der Tochter dazwischen geht, ein unangenehmer Mensch übrigens, mit einem Hang zum Würfelspiel, in dessen Kopf schon die Pläne geschmiedet sind um die beiden Liebenden ins Unglück zu werfen. Bah! Ich mag den Kerl nicht (zumal er so klein geraten ist, daß er sogar Stiefel mit hohen Absätzen tragen muss um wenigstens ein bißchen was her zumachen. Zu gerne würde ich ihn die steile Treppe hinunterstürzen lassen, den Widerling.

Es ist halb zwei, Gott, die Zeit rast schon wieder. Ich überlege schon, ob ich die Uhr einfach eine Stunde zurückdrehe, bin mir aber ziemlich sicher, daß es das nicht wirklich bringt.

Früher, in der guten alten Zeit, als ich noch geraucht habe, hätte ich jetzt draußen auf der Terrasse eine Pause eingelegt, und zusammen mit meinem tönernen Bierkrug die Sterne angesehen. Jetzt, da ich schon lange nicht mehr rauche, schaue ich zwischendrin nur noch meinen Bierkrug an, die Sterne finden sich dann später.

 

Halb drei, Gott, das Kapitel will einfach kein Ende nehmen. Wieso brauchen die beiden Freunde (der Radmacher und sein bester Freund) nur so lange, um aus der Stadt zu fliehen um den Plänen des bösartigen Bruders zu entkommen. Um ein Haar hätte die Stadtwache sie gepackt, um ein Haar hätte eine Pistolenkugel den Freund getötet, Herrgott, pass halt ein bißchen auf, Leute.

 

Vom Wohnzimmer her höre ich, daß sich eine der Katzen übergibt. Ich hätte es ahnen können. Es ist die älteste, Momo, die verträgt Maus pur nicht mehr so gut.

Na ja, ich wollte eh gerade noch mal eine kurze Pause einlegen.

 

Mit frisch gewaschenen Händen mache ich mich wieder ans Werk. Leise Panik erfasst mich, es geht auf halb vier, die beiden Freunde sind schon am Tor, doch wie jetzt hinaus aus der Stadt? Kommt schon, lasst euch was einfallen, ich muss ja auch irgendwann mal ins Bett.

Schlafen, ach ja, das wäre schön.

Die Anzahl der Vertipper nimmt überproportional zu.

Stadttür…Stadttur…..Mann….Stadttor.

Die Jungs haben Glück, am Tor halten Männer Wache, die aus ihrer Innung stammen, sie lassen sie passieren, ohne groß Fragen zu stellen.

Das ging ja jetzt doch sehr rasch.

Was denn? Zu einfach? Lassen Sie sich doch mal Nachts um halb vier was Besseres einfallen.

Na gut, sie gehen durch die Pegnitz stiften, das Fallgatter ist offen, weil Nürnberg noch nicht durch die kaiserlichen Truppen unter Wallenstein bedroht wird.

Besser. Dafür sind die Jungs jetzt klitschnass und das im Spätherbst. Aber, sie wollten es ja so. Nur zur Beruhigung, es hat sich keiner der Beiden eine Erkältung eingefangen.

 

Gute Güte, es ist schon fast vier Uhr. Schnell noch mal alles speichern. Gott sei Dank ist morgen Samstag, da kann ich bis neun Uhr schlafen, vorausgesetzt die Katzen halten Frieden.

 

Hab ich schon gespeichert? Bin ich müde. Müde.

 

Vogelgezwitscher setzt ein. So sehr ich das am Abend liebe (schwermütig romantisch), so sehr hasse ich dies am Morgen. Ich rappel mich hoch, durchs Fenster fällt schon ein schwacher Lichtschein, ein Schemen nur, aber dieses Vogelgezwitscher, Gott.

Mir tut das Kreuz weh, in der linken Schulter hat sich irgendwas eingeklemmt. Die rechte Hand ist taub und kalt. Ich starre auf die Uhr über mir, fünf Uhr.

 

Meine Güte, schon wieder vor dem Rechner eingeschlafen.

 

Aber wenigstens schreibe ich immer zur gleichen Zeit, jede Nacht. Meine Agentin ist sehr stolz auf mich.

 

 

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